WIR TRAUERN UMGEORGE MEYER-GOLL
(1949-2023)
Nachruf
Das erste Mal begegnet sind wir uns in der Uni-Mensa in Tübingen – es muss das Jahr 1971 oder 1972 gewesen sein – bei einem Konzert der Nürnberger Rockgruppe „Ihre Kinder“, die Rockmusik mit der deutschen Sprache zu verbinden suchte. Zu der Zeit ein sehr gewagtes Experiment. Da muss der 22-jährige Georg Meyer, wie er sich damals noch nannte, vor mir auf der Bühne gestanden haben. Er spielte neben Querflöte auch Geige und sang auch noch. Ich kann mich an die Gruppe, aber nicht mehr an einzelne Mitglieder erinnern.
Viele Jahre später hat mir Udo gestanden, dass er damals richtig ein bisschen Angst hatte, dass die 1969 gegründete Band mit den deutschsprachigen Texten Erfolg haben könnte. Hatte sie nicht und so war der Weg frei für ihn.
George hat dann aufgehört mit der Musik und ist auf die Münchner Falckenbergschule gegangen. 1977 hat ihn dann gleich Claus Peymann engagiert für die Schlussphase seiner Stuttgarter Intendanz und ihn anschließend mitgenommen nach Bochum, wo George sich zu einem fleißigen Ensemblespieler entwickelte.
Als das Fernsehen auf ihn aufmerksam wurde, trennten sich ihre Wege. Und in diesem anderen Medium machte er ebenso schnell Karriere. Überregional bekannt – und da habe ich ihn zum ersten Mal bewusst gesehen – wurde er in der Serie „Schwarz Rot Gold“ als Zollfahnder Max Doellke, an der Seite von Uwe Friedrichsen, die im Hamburger Hafen dauernd irgendwas Verbotenes aufdeckten. George, immer in einer engen schwarzen Lederhose, war das Enfant terrible der Fahndungstruppe und machte meist irgendwas falsch oder am Rande der Legalität, was Friedrichsen dann wieder in Ordnung bringen musste.
Daneben spielte Meyer-Goll weiter Theater in Köln, am Residenztheater in München, in Basel, Bonn, Frankfurt und in Düsseldorf, wo sich er Anfang der 90er Jahre in eine junge Bühnenbildnerin verliebte, Annelie Büchner, die dann seine Lebensgefährtin und 2013 seine Frau werden sollte.
Seine wichtigen Regisseure in der Zeit hießen Peter Löscher, Fred Berndt, Dimiter Gottscheff, Peter Eschberg, Hansjörg Utzerath und Karin Beier.
2006 kam George dann mit Franz Wittenbrink ans St. Pauli Theater, wo er in der Produktion Lust“ mit seiner glockenhellen Stimme als abgewrackter Penner in den Tiefen eines Strip-Lokal überlebte. Die Premiere, der Einstieg in Wittenbrinks Kiez-Trilogie war ein großer Erfolg. Bis nach drei Tagen plötzlich zwei merkwürdige Gestalten im Backstage-Bereich auftauchten und sich erkundigten, ob es wirklich nur die zwei Abgangsmöglichkeiten von der Bühne gäbe. Sie wiesen sie sich dann als Beamte der David-Wache aus und fragten noch, wann denn die Vorstellung zu Ende sei. Sie hätten mit Herrn Meyer-Goll etwas zu klären.
Nach dem Applaus begleiteten sie George in die Garderobe, ließen ihn sich noch umziehen und nahmen ihn mit auf die benachbarte Wache. Wie sich dann herausstellte, wollte ein Gerichtsvollzieher just an diesem Abend bei Meyer-Goll etwas vollstrecken lassen. Thomas Collien organisierte dann am nächsten Tag einen guten Anwalt, der Licht in das Dunkel brachte und George konnte am Abend wieder auftreten.
Nach diesem fulminanten Einstieg wurde er einer der Protagonisten vieler Wittenbrink-Abende wie „Ritze“ oder „Ricky“, immer obskure Figuren, oft am Rande der Existenz, aber meist philosophisch angehaucht, und da war die Rock- und Soul-Erfahrung, die Meyer-Goll aus seiner Musiker-Zeit mitbrachte, wieder zu hören. Auch in „Willkommen – ein deutscher Abend“, der legendären „Nacht-Tankstelle“ oder den Musicals „Linie S1“ und „Hamburg Royal“ konnte er seine Doppelbegabung als Sänger und Schauspieler ausleben.
Er war ein Schauspieler, der im Zweifelsfall seine Figuren kräftig behauptete, wobei ihm sein leicht fränkischer Tonfall sicher zu Hilfe kam und daneben auch ein begnadeter Komiker. Unvergessen seine Slapstick-Nummer, als er in „Arsen“ versuchte zusammen mit Christian Redl eine Leiche zu verstecken und dabei selbst in der dafür vorgesehenen Truhe landete.
Auf den Proben war das manchmal nicht ganz einfach, weil George sehr oft ein genaues Bild hatte, wie er was spielen wollte und auch, was der Kollege zu tun hatte, damit er das so, wie er dachte, spielen konnte. Das führte dann und wann zu längeren Disputen. Aber von einer besseren Idee ließ er sich immer überzeugen. Und schlechte Laune kannte man bei ihm sowieso nicht. Und wenn etwas gar nicht lösbar schien, fing er kurzerhand an, mit seinen handwerklichen Fähigkeiten, ein Requisit oder eine beschädigte Probentür zu reparieren.
Er spielte an der Seite von Burghart Klaußner in Wilfried Minks` „Tod eines Handlungsreisenden“, war hinreißend komisch in fünf Figuren in Pohls „Wartesaal Deutschland“ und gehörte zum Allstar-Team von „Arsen und Spitzenhäubchen“, mit Angela Winkler und Eva Mattes, als Arzt des Monsters Christian Redl, dem er dauernd ein neues Gesicht machen sollte. Bis zum Jahr 2020, also elf Jahre stand dieses einmalige Ensemble, zu dem auch noch Gerhard Garbers und Uwe Bohm gehörten, zusammen auf der Bühne.
Ende der 80er Jahre hatte er sich in Umbrien, gegenüber von Assisi ein eher unscheinbares Haus aus den 5oer Jahren gekauft, das er als gelernter Maurer zusammen mit Annelie Büchner in einen wunderbaren Ort der Ruhe umbaute, in dem man – dank der Kochkünste seiner Frau – auch vorzüglich speisen konnte. Diese 2. Heimat war ihm, der inzwischen auch Experte für Olivenöl geworden war, über all die Jahre wichtig und er konnte es gar nicht abwarten, im Frühjahr dorthin abzuhauen.
Und so war er auch sofort dabei bei zwei italienisch-deutschen Produktionen des Theaters in der benachbarten Toskana: „Albicocche rosse – Blutige Aprikosen“ als deutscher Besatzungsoffizier, der in einem Dorf italienische Zwangsarbeiter rekrutiert und in „La grande gelata – Der große Frost“ als aufgebrachter deutscher Vater, der sich darüber erregt, dass seine Tochter mit einem Italiener „geht“.
Auch hier war es so, dass es immer ein Glück war, ihn bei einer Produktion dabei zu haben. Er hatte einfach einen guten Instinkt und einen unbestechlichen Blick auf die Kollegen.
Vor zehn Tagen wollte er wieder aufbrechen nach Italien, als ihn sein Herz bei einer Routinekontrolle in Berlin umwarf. Dass es nicht mehr so stark war, wusste er und hat über die Anzahl seiner Bypässe oft Witze gemacht. Und auch einen schweren Sturz vor zwei Jahren auf einer Eisplatte mit einem komplizierten Bruch hat er weggesteckt und anschließend bei „Cabaret“ wieder als Herr Schulz auf der Bühne getanzt.
Diesmal hat ihm sein Körper das, trotz aller Anstrengungen nicht mehr gestattet und er – der mit der Religion nichts am Hut hatte – konnte am Tag der Auferstehung selbst nicht mehr aufstehen. So eine Pointe konnte nur von ihm sein.
Tschüss George, wir werden Dich vermissen.
Unsere Gedanken sind bei Annelie und seinen beiden Kindern.
Ulrich Waller
Termin
15. Mai 2023