Amara terra mia
Mein bitteres Land
Stückinfo
„Wir haben Arbeitskräfte gerufen,
es sind Menschen gekommen.“
Max Frisch
„Amara terra mia / Mein bitteres Land“ von Domenico Modugno war die Hymne der italienischen Auswanderer in den 50er und 60er Jahren. Italien konnte zu der Zeit nicht alle seine Bewohner ernähren und so schloss die Regierung Verträge, im Dezember 1955 auch mit Deutschland, um den jungen Arbeitswilligen einen Job im Ausland zu besorgen.
In einer Leichenhalle in Wolfsburg steht eine Urne. Zwei Frauen, die sich hier zum ersten Mal sehen, wollen sie abholen. Beide glauben, dass das die Asche ihres Vaters ist: Agatino Rossi, geboren in San Gusmè in der Toskana. Carla (Adriana Altaras) ist Architektin und Tocher einer deutschen Mutter. Maria Grazia (Daniela Morozzi) ist Lehrerin und Tochter einer Italienerin. Langsam begreifen sie, dass sie Halbschwestern sind. Der Tote hat ihnen nur einen Brief mit Fotos hinterlassen. Stück für Stück wird von Carla und Maria Grazia die Geschichte ihres Vaters, von der beide nur jeweils einen Teil kennen, zusammengesetzt:
Nach einer Kälte-Katastrophe („La grande gelata“) im Februar 1956, bei der in großen Teilen Italiens fast alle Olivenbäume und Weinstöcke erfrieren, hat auch die Familie von Agatino Rossi über Nacht ihre Lebensgrundlage verloren. Die Söhne verlassen, wie viele junge Männer in Italien, das Dorf, die Familie, ihre Heimat und ziehen nach Norden, nach Deutschland. Zuerst landet Agatino in Hamburg bei einer Werft. Die Arbeit ist gefährlich, er zieht weiter und kommt 1962 zu VW in Wolfsburg. Dort lernt er eine deutsche Frau, Irene, kennen, bekommt eine Tochter, Carla. Die Beziehung zerbricht nach 10 Jahren und Agatino geht in der großen Ölkrise, Anfang der 70er Jahre, zurück nach Italien.
Er gründet eine neue Familie mit Dorina, seiner Jugendliebe aus dem Dorf und wird wieder Vater einer Tochter, Maria Grazia. Doch er hält es nicht lange aus in seiner alten Heimat, als „Il Tedesco / Der Deutsche“ angefeindet, bewirbt er sich wieder in Deutschland. Eigentlich heimatlos geworden, pendelt er ruhelos hin und her, ohne dass seine beiden Familien je voneinander erfahren, bis zu seinem Tod.
„Amara terra mia / Mein bitteres Land“ ist die zweite Produktion dieses italienischdeutschen Regieteams nach „Albicocche rosse / Blutige Aprikosen“ über ein Massaker deutscher Soldaten in einem toskanischen Dorf.
Ein Theaterprojekt über Migranten
von Matteo Marsan, Dania Hohmann, Ulrich Waller
Mit: Adriana Altaras und Daniela Morozzi
Bühne: Georg&Paul | Kostüme: Bettina Proske | Musikberatung: Wolfgang Böhmer | Videoschnitt: Jan Ruschke | Fach-Beratung: Dr. Edith Pichler
Uraufführung
15. Mai 2016 in Recklinghausen
Eine Koproduktion
Ruhrfestspiele Recklinghausen, St. Pauli Theater Hamburg, Teatro Alfieri Castelnuovo Berardenga (I), Les Théâtres de la Ville de Luxembourg
Mit Unterstützung des Goethe-Instituts Rom
Dauer
75 Minuten, keine Pause
Pressestimmen
„Amara terra mia“ ist der Glücksfall eines zeitkritischen Theaters, das sinnlich, gar anrührend Fragen über Fragen aufwirft, statt voreilige Antworten zu geben.“
Recklinghäuser Zeitung
„Adriana Altaras und Daniela Morozzi sind fabelhaft und präsentieren generös die ganze Bandbreite ihres Könnens. Man sieht ihnen gerne zu.“
Nachtkritik
„Die beiden Schauspielerinnen in diesem tragikomischen Abend sind hinreißend….dass diese Produktion des St. Pauli Theaters von einer privaten Bühne gestemmt wurde, macht Hoffnung darauf, dass Theater auch ohne Millionen-Subventionen ein Ort der gesellschaftlichen Auseinandersetzung sein kann.“
dr-Kultur-Fazit
„Altaras und Morozzi sprechen deutsch und italienisch, radebrechen mit Akzent, spielen umwerfend gut. Donnernder Applaus. Mit „Amara terra mia“ glückt dem Regie- und Autorentrio Marsan, Hohmann, Waller ein großer Wurf.“
Ruhrnachrichten
Knallige Klamotte trifft auf harte, nachdenklich machende Fakten, belegt durch Dokumentaraufnahmen – mit zwei Königinnen des Abends, den Vollblutkomödiantinnen und Tragödinnen, Adriana Altaras und Daniela Morozzi. In rasendem Deutsch-Italienisch palavern sie, schlüpfen in verschiedene Rollen und erzählen, selbst wenn sie temperamentvoll übertreiben, eine Geschichte, die mitreißt und berührt.
DIE WELT
Ulrich Waller, Dania Hohmann und Matteo Marsan haben den Abend klug komponiert, doch er lebt von den Schauspielerinnen. Adriana Altaras und Daniela Morozzi schlüpfen mit Verve in viele verschiedene Rollen und spielen das Leben des Vaters nach: den Aufbruch nach Deutschland, die Ankunft in Wolfsburg, den Kampf mit der Sprache.
Sie erzählen von den Schwierigkeiten, in Deutschland heimisch zu werden und zeigen, wie Agostino Rossi schließlich in Italien zum “Deutschen” wird. Ein überaus gelungener, unterhaltsamer Abend über Migration.
NDR