Albicocche rosse - Blutige Aprikosen
von Matteo Marsan, Dania Hohmann, Ulrich Waller
Stückinfo
„Albicocche rosse – Palazzaccio“ ist ein italienisch-deutsches Theaterprojekt anlässlich des 70. Jahrestages eines Massakers deutscher Soldaten. Palazzaccio ist ein kleines Gehöft in der Nähe des Dorfes San Gusmè, etwa 20 km östlich von Siena in der Toskana. Palazzaccio ist ein Ort von vielen, in denen deutsche Soldaten im 2. Weltkrieg ein Kriegsverbrechen begangen haben. Am Morgen des 4. Juli 1944, am Tag des deutschen Abzugs wurden im Rahmen einer sogenannten Sühnemaßnahme, von einer Einheit der Division „Hermann Göring“ nach einem Partisanenangriff 9 Zivilisten, fast ausschließlich Frauen und Kinder erschossen.
Der Krieg in Italien ist in Deutschland wenig ins Bewußtsein geraten, auch die Übergriffe auf die Zivilbevöl-kerung sind wenig bekannt. Sicher auch weil die Italiener – anders als beispielsweise die Franzosen – nach dem Krieg nur wenig darüber gesprochen haben, viele Akten von deutschen Verbrechen waren jahrzehntelang verschwunden im sogenannten „Schrank der Schande“ in Rom. Man wollte den zukünftigen Nato-Bündnispart-ner und ehemaligen Verbündeten damit nicht behelligen. Und ganz schnell wurden nach 45 aus Kriegsgegnern wieder Gastgeber und Gäste.
Das ist Hintergrund unseres dokumentarischen Theaterprojektes. Am 70.Jahrestag von Palazzaccio erinnern Italiener und Deutsche zusammen an die Ereignisse in einem Theater-, Musikprojekt. Dieser Rückblick wird von deutschen und italienischen Schauspielern und Bewohnern des Dorfes und der Umgebung gemeinsam auf die Bühne gebracht.
An Hand eines toskanischen Dorfes soll ergründet werden, wie es damals dazu kommen konnte, was waren die Umstände, die Hintergründe, die Motive, wer waren die Täter. Erzählt werden soll die Geschichte mit den Augen eines etwa zehnjährigen Jungen, der in diesem Dorf lebt, den Krieg erlebt und der am Ende die Toten findet. Die Form ist eine Collage aus Theater, Live-Musik, Songs eines Cantastorie (Mauro Chechi) und Film und basiert auf vielen Originaldokumenten.
Dieses Projekt, das unter der Schirmherrschaft der Region Toskana und der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland und in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut in Rom stattfindet, wird unterstützt durch das Auswärtige Amt in Berlin und die Hapag-Lloyd-Stiftung. Es ist ein besonderer Beitrag zur Aufarbeitung der Zeit der deutschen Besetzung Italiens von 1943-45, die in einem Regierungsabkommen zwischen den Außen-ministern beider Länder im Jahre 2012 vereinbart worden ist. Die Premiere wird begleitet von einem außerordentlichen deutsch-italienischen Historikerkongress, auf dem es zum ersten Mal zu einem Treffen zwischen italienischen Zeugen und Nachfahren der deutschen Soldaten kommen wird.
Für das St. Pauli Theater Hamburg, geleitet von Ulrich Waller und Thomas Collien, ist die Zusammenarbeit mit dem Teatro Alfieri in Castelnuovo Berardenga die erste mit einem italienischen Partner.
Die Theatervereinigung „Lo Stanzone delle Apparizioni“, die im Auftrag der Comune Castenuovo Beradenga das Theater betreibt, erarbeitet zusammen mit der lokalen Vereinigung „Cantiere Bruscello“, der zahlreiche Bewohner der Umgebung angehören, alljährlich unter der Regie von Matteo Marsan in dieser traditionellen Form der theatralischen Erzählung in Oktaven von Elf-Silben-Reimen, dem sogenannten Bruscello, klassische und aktuelle Themen der Populargeschichte auf.Wie erinnert man Geschichte, wie geht man mit ihr um, wie sind die Unterschiede zwischen Italien und Deutsch-land. In welcher Form kann man sich der gemeinsamen Geschichte stellen, auch dem dunkelsten Kapitel, dem Faschismus, der in Italien und Deutschland sehr unterschiedliche Ausprägungen hatte? Das sind Fragen, der die Aufführung nachgehen will.
Ein Theaterprojekt von
Matteo Marsan, Dania Hohmann und Ulrich Waller
Mit: Mit: Adriana Altaras, Cristiano Burgio, Gualtiero Burzi, Mauro Chechi, Peter Jordan, Jörg Kleemann, George Meyer-Goll, Daniela Morozzi, Luk Pfaff, Massimo Poggio, David Riondino, Angelo Romagnoli, Hartmut Saam, Bebo Storti, Massimo Tarducci, Elisa Vitiello e il Cantiere del Bruscello di Castelnuovo B.ga, u.a.
Premiere
4. Juli 2014 in San Gusmè auf der Piazza Castelli
Eine Koproduktion des Teatro Alfieri Castelnuovo Berardenga / St. Pauli Theater Hamburg
Weitere Informationan auch unter:http://www.albicocche-rosse.de
Pressestimmen
Vor 70 Jahren, am allerletzten Tag des Krieges, hatte es in San Gusmè ein Massaker gegeben. Die Akten waren in Archiven verstaubt. Nun kommt eine Theatertruppe und bricht das Schweigen.
Das Theater fasst in die Wunden, welche die Politik hinterlassen hat. Das ist Kultur. Wir sollten nicht so schnell vergessen. Unsere Politik braucht eine andere Kultur.
POLITIK UND KULTUR
Die Inszenierung , die der italienische Regisseur Matteo Marsan und die Deutschen Dania Hohmann und Ulrich Waller da vor einer Holztribüne auf dem Dorfplatz angerichtet haben, beweist auf umwerfende Weise die manchmal einzigartige Kraft des Theaters, jenen Irrsinn lebendig zu machen, der in Geschichtsbüchern, Kinofilmen und TV-Dokumentatio-nen meist ferner, abstrakter Schrecken bleibt. In der “Albicocche rosse”-Aufführung wird im toskanischen Publikum gelacht, mitgelitten und mitgesungen, als sei die Story, die hier unter dem Nachthimmel verhandelt wird, eine von heute. Das Lehrstück “Rote Aprikosen” ist ein finsteres, ergreifendes, aber auch komisches Spektakel.
DER SPIEGEL