WIR TRAUERN UMHANNELORE HOGER
(20.8.1941 - 21.12.2024)
Nachruf
Mit Hannelore Hoger hat das deutsche Theater und natürlich auch das in ihrer Heimatstadt Hamburg eine seiner prägendsten Protagonistinnen verloren.
Das erste Mal auf der Bühne gesehen habe ich sie im Mai 1977 beim Berliner Theatertreffen in der Freien Volksbühne, wie das Haus der Festspiele damals noch hieß, als unübersehbare, tief berührende und gleichzeitig hinreißend komische Protagonistin einer Gruppe um ihren Lieblingsregisseur, den Argentinier Augusto Fernandes, zu der auch Kollegen wie Fritz Schediwy und Brigitte Janner, Magdalena Montezuma und Hermann Lause gehörten. Ohne sich nach vorne zu drängen, war sie mit ihrer warmen unverwechselbaren Stimme das Zentrum von “Atlantis”. dieses überbordenden, rauschhaften Traum-Spektakels zum Thema Erinnerung, das als Kollektiv-Produktion – alle Beteiligten waren Mitautoren und Miterfinder – an Peter Zadeks Bochumer Schauspielhaus entstanden war. Zadek war es, der Hannelore Hoger als ganz junge Schauspielerin in Ulm, Anfang der 60er-jahre entdeckte und mit nach Bremen und nach Bochum nahm.
Wir sind uns dann ein paar Jahre später am Hamburger Schauspielhaus wiederbegegnet, während der Intendanz von Niels-Peter Rudolph, zu deren prägenden Regisseuren auch wieder Fernandes zählte, der als erstes ein fundiertes Straßberg-Training für Schauspieler einführte. Und immer mit dabei Hannelore Hoger. Auf den regelmäßigen Schauspieler-Vollversammlungen hatte sie, das Hamburger Theaterkind – ihr Vater war Inspizient und Schauspieler im Ohnsorg-Theater und so ist sie quasi im Theater aufgewachsen, und ist hier mit 14 auch das erste Mal aufgetreten – immer eine Meinung, die sie manchmal auch lautstark äußerte. Besonders, wenn sie sich über vermeintliche oder wirkliche Ungerechtigkeiten ärgerte, die Kollegen oder Kolleginnen betrafen. Ich wurde ihrer Unterstützung ganz persönlich zuteil: Als mir bei meinem Abschied vom Schauspielhaus öffentlich mitgeteilt wurde, dass es kaum noch Schauspieler gäbe, die mit mir arbeiten wollten und man deshalb den Vertrag mit mir auflösen müsse, war es Hannelore, die als erste aufstand und sagte: „Das ist doch totaler Quatsch. Ich habe sehr gerne mit Uli gearbeitet und würde das auch sofort wieder tun.“
Und in der Tat hatten wir eine wunderbare kleine Produktion im Malersaal zusammen gemacht: „Susn“ von Herbert Achternbusch, fünf Monologe einer Frau in verschiedenen Lebensaltern, die eigentlich auch von fünf verschiedenen Frauen gespielt werden sollten. Hannelore meinte: „Ich spiel die alle, sonst macht das gar keinen Sinn.“ Und sie hatte Recht: Sie konnte eine 17-jährige genauso glaubhaft verkörpern wie eine alte Frau kurz vor dem Sterben. Und was wurde geunkt vor Probenbeginn, dass sie, die berühmte Schauspielerin, mich, den Berufsanfänger, fressen würde schon auf der ersten Probe. Es kam ganz anders. Es wurde eine Arbeit auf Augenhöhe, in gegenseitigem Respekt. Und natürlich habe ich profitiert von ihrem untrüglichen Theaterinstinkt, von ihrer handwerklichen Kunst, die sie ganz uneigennützig der gemeinsamen Arbeit zur Verfügung stellte – wie sie das auch später als Regisseurin vor allem mit jungen Schauspielern gemacht hat. Dieses mutige Eintreten für mich damals werde ich ihr nie vergessen.
Manchmal kämpfte sie auch gegen Windmühlen mit ihrem Gerechtigkeitssinn, der auch eines der prägendsten Merkmale ihrer berühmtesten Fernsehfigur „Bella Block“ werden sollte. Bei unserer nächsten Begegnung in den Hamburger Kammerspielen, riss sie sich eines Abends in der Garderobe wütend ihre Perücke vom Kopf und erklärte mir, dass sie heute Abend nicht auftreten würde. Der Grund: ich hätte in einem Interview behauptet, dass nicht „After Play“, die erfolgreichste Produktion der Kammerspiele sei. Ein Stück in dem sie zusammen mit Gerhard Garbers, Angela Schmid, und dem unvergessenen Dietmar Mues zwei Paare nach einem Theaterbesuch spielte, die sich über das gerade gesehene Stück und das Leben überhaupt in die Wolle kriegten. Ich müsse das sofort dementieren und ihr das Dementi vorlegen. Es sei Sonntag, wie soll das gehen, habe ich noch geantwortet. Dann werde sie selbst für die Richtigstellung sorgen und bei der bevorstehenden Zadek-Premiere mit „Gesäubert“ Flugblätter vom Rang schmeißen. Die Flugblätter flogen nicht, Hannelore hatte sich wieder beruhigt, später selbst auch über diesen Auftritt gelacht und die Vorstellung gespielt.
Genauso wie die Martha in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“, inszeniert von Wilfried Minks im St. Pauli-Theater, in der die Klaviatur aller Facetten, aller Gefühlslagen, auf denen Hannelore spielen konnte, zu erleben war. Auch das ein starker Auftritt.
Neben dem Theater hatte sie früh ihre Filmkarriere begonnen, mit formal ungewöhnlichen Arbeiten zusammen mit dem Regisseur Alexander Kluge. Einem breiten Publikum wurde sie natürlich bekannt als Kommissarin Bella Block, eine Figur die sie zusammen mit Max Färberböck nach einer Vorlage von Doris Gehrcke entwickelt hatte oder unvergesslich die Lea in Egon Monks „Die Bertinis“. Vor allem sie erdete diese Geschichte wieder in Hamburg.
Unsere dritte Begegnung war dann bei Yasmina Rezas „Ihre Version des Spiels“, ein Stück über den schwierigen Auftritt einer berühmten Schriftstellerin in der Provinz. Und integriert immer wieder Lesepassagen der Schriftstellerin, in denen Hannelore auch ihre wunderbare Fähigkeit als Lesende zeigen konnte. Und sie entdeckte Volker Lechtenbrink wieder, dessen Karriere gerade etwas leise geworden war. Er spielte dann den Bürgermeister, der der Schriftstellerin erklären will, wie man eigentlich schreibt und worüber. Ein großartiges, unmögliches Paar, das am Ende zusammen „Nathalie“ von Gilbert Becaud sang.
Ihre Figuren hat Hannelore immer in Schutz genommen, sie nie ausgestellt. Sie waren immer authentisch, egal ob der Autor Goethe hieß (“Der Großkophta“) oder Botho Strauß („Kalledewey Farce“). Nett sind sie dadurch nicht geworden, ihre scharfe Zunge, die Hannelore auch privat haben konnte, hat sie ihnen ebenso geschenkt wie ihren Humor.
Zuletzt war sie vor gut einem Jahr bei uns auf der Bühne. Bei der Spielzeiteröffnungs-Gala mit dem wunderbaren Tucholsky-Text „Der Beleuchter“, nochmal ein kleiner Hinweis auf den von ihr so verehrten Dichter und auch auf ihre Herkunft aus dem Theater und im November mit einer Lesung aus Sybille Bergs „Ich dachte, es sei Liebe – Abschiedsbriefe von Frauen“.
Jetzt ist sie selbst gegangen kurz vor Weihnachten. Unsere Gedanken sind bei ihrer Tochter Nina.
Tschüss Hannelore
Ulrich Waller