180 Jahre St. Pauli Theater
Ganz still und leise – als hätte es sich nach diesen ermüdenden Corona-Monaten und bei den noch bestehenden Abstandsregeln nicht getraut zu feiern, ist unser St. Pauli Theater am letzten Sonntag 180 Jahre alt geworden.
Liebes Theater,
laß Dich feiern mit einer kleinen Laudatio, ausnahmsweise einmal online.
Mit 180 Jahren bist Du so alt, wie der Tierschutzverein, es haben seit Deiner Gründung über 65 Tausend Vorstellungen auf Deiner Bühne stattgefunden und es haben Dich gut 32 Millionen Gäste besucht.
Vor 180 Jahren hast Du am Eröffnungsabend noch Urania-Theater geheißen, benannt nach der Muse der Sternenkunde in der griechischen Mythologie. Und heute könnte man wirklich sagen, die Gründung stand unter einem guten Stern.
Über 5 Stunden soll der Eröffnungsabend gedauert haben. Es gab einen Prolog „Uranias Weihe“ und dann das Stück „Schule des Lebens“ von Ernst Raupach, damals ein angesagter Autor, der sich bei seinen Stücken immer wieder der Persiflage und Satire bediente.
Zeitgenossen lobten seinen Gespür für Witz, Laune und Situationskomik. Ein Satz von Raupach könnte über der Theatergründung stehen: Wozu der Mensch den Mut hat, dazu findet er die Mittel. Ein Satz, der sich im Laufe Deiner Geschichte nicht nur einmal im Sinne Deines Weiterlebens bewahrheiten sollte.
Wieviele Namen hast Du getragen. Aus Urania wurde das Actien-Theater und daraus das Variete-Theater, vom Hamburger Volksmund zu Warmtee-Theater umgedichtet. Ja man drufte auf Deinen Plätzen damals noch trinken und essen und sogar rauchen.
Was hast Du alles gesehen? Den Hamburger Brand von 1842 hast Du über-, die 48er Revolution miterlebt, die völlige Einschließung der Stadt durch Preußen 1866, den Eintritt in den Norddeutschen Bund, obwohl die Österreicher Hamburg viel mehr Geld gegeben hatten, die Reichsgründung 1871.
5 Millionen Menschen sind zwischen 1815 und 1934 über Hamburg ausgewandert. Wieviele sind auf dem Weg zum Hafen an Dir vorbeigekommen? Du hast die Cholera-Epedemie von 1891 genauso gesehen, wie den großen Hafenarbeiterstreik 1896, die Revolution von 1918, die Kämpfe der Weimarer Republik, warst Zeuge der Nazi-Diktatur und mußtest 1941 sogar Deinen Namen ändern, weil Dein langjähriger Besitzer und damaliger Namensgeber Ernst Drucker Jude war. Du hast tapfer den schweren Bombennächten vom Juli 1943 getrotzt, und am 1. August 1945 zusammen mit dem Hansa-Theater als erstes Hamburger Theater von der britischen Militärregierung wieder die Genehmigung bekommen zu spielen. Die legendäre „Zitronenjette“ war das erste Stück nach der Befreiung. Ein alter weißer Mann in Frauenkleidern. Manchmal warst Du Deiner Zeit wirklich voraus.
Ja und bei der Sturmflut 1962 hast Du Dir nicht mal nasse Füße geholt. Die Autonomen von der Hafenstrasse sind an Dir vorbeimarschiert und den Heerscharen von Ossis, die nach dem Mauerfall die Bananen vom Fischmarkt geschleppt haben, hast Du freundlich zugelächelt. Und auch als Du am 18. März letzten Jahres zum ersten Mal seit dem Krieg wieder geschlossen wurdest, hast Du nicht gemeckert. Du konntest ja nicht wissen, daß daraus – von 6 Wochen im letzten Herbst abgesehen -, dann 16 Monate werden sollten. 16 Monate ohne Zuschauer.
Du bist ein altes analoges Haus. Du liebst es, wenn die Zuschauer zu Dir kommen. Als modernistische Streaming-Station hast Du Dich nie gesehen. Wie war Dein Wahlspruch? Ein Theater ohne Zuschauer ist kein Theater.
Aber die lange Zeit des unfreiwilligen Dornröschenschlafes hast Du genutzt: Nachdem Du Dich zum letzten runden Geburtstag beeindruckend herausgeputzt hattest, hast Du jetzt Deine Theaterbar unglaublich aufgehübscht und Du hast Dir eine Klimaanlage einbauen lassen, damit nie wieder jemand sagen kann, bei Dir bekäme man keine Luft im Theater.
So bist Du 180 Jahre alt geworden, laß Dich feiern.
Wir möchten die Gelegenheit benutzen, uns an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bei all denen bedanken, ohne die wir das St. Pauli Theater in dieser Form heute nicht mehr betreiben könnten:
Bei der Hamburger Kulturbehörde, insbesondere Herrn Senator Dr.Brosda, bei Frau Westphal. Beim Vorstand unseres Fördervereins, bei Claus Budelmann, Michael Behrendt, Gunter Mengers, Dr. Thomas Seiffert und Heinz Glässgen; bei unseren 15 Kuratoren, bei einigen extrem großzügigen Spendern und Darlehensgebern aus der Hamburger Kaufmannschaft. Danke! Ohne Euch, ohne Sie gäbe es uns nicht mehr!
Wir sind aber auch dankbar für die Unterstützung durch unserer Freunde beim Stadtmöblierer Decaux, den Hamburger Medien, ganz besonders aber unserem Hauptsponsoren, der Hapag-Lloyd Stiftung mit dem Vorstand Michael Behrendt und Frau Eva Gjersvik, ohne die es den Neustart 2003 nicht gegeben hätte und nicht zu vergessen: der Bodo Röhr-Stiftung und ihrem Vorsitzenden Cornelius Brandi, die in uns in jüngster Zeit bei mehreren großen Projekten großzügig geholfen hat.
Und natürlich wollen wir uns heute hier auch bei unserer Crew bedanken, insbesondere bei Christiane Schindler, Oliver Oehrlein und Lars Kasten an der Spitze unseres Teams. Liebe Mitarbeiter des St. Pauli Theaters! Was wären wir ohne Euch! Wir haben das coolste Team der Stadt! Ob Büro, Karten-Vertrieb, Vorderhaus, Technik … Es ist eine große Freude mit Euch zusammenarbeiten zu dürfen.
Und last but not least:
Liebes Publikum, von Ihnen erwarten wir, daß Sie die „alte”, junggebliebene Dame jetzt nicht sitzen lassen und daß Sie sich wieder trauen, sie zu besuchen, uns zu besuchen. Denn ab nächsten Wochenende spielen wieder.
In der Hoffnung Sie bald wieder auf dem Kiez zu sehen!
Thomas Collien und Ulrich Waller